Ein Virus und die Systemfrage

Angekommen im zweiten Lockdown, auch wenn er von der Politik (noch) nicht so genannt wird, werden doch jetzt schon die Einschnitte sichtbar, welche die Pandemie verursacht hat, bzw. welche Defizite dem System des globalisierten Kapitalismus inne wohnen.

Nehmen wir als Beispiel Thyssen Krupp: Die gewinnträchtige Sparte Aufzugsproduktion musste bereits verkauf werden, um das Unternehmen über Wasser zu halten. Die 17 Milliarden, die dieser Verkauf einbrachte wurden genutzt um dringende Finanzlöcher zu stopfen. Durch die Pandemie konnte sich Thyssen Krupp über eine weitere Milliarde über die staatliche KfW Bank besorgen, doch trotzdem steht die Sparte Stahl jetzt vor dem Verkauf an einen britischen Investor. Zehntausende Arbeitsplätze sind bedroht – trotz der Staatshilfen. (https://www.capital.de/wirtschaft-politik/nun-kommt-das-endgame-bei-thyssenkrupp), (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/thyssenkrupp-liberty-steel-1.5074936)

Ähnliches lässt sich von der ´Lufthansa berichten, die sagenhafte 9 Milliarden Staatshilfen erhielt. Trotzdem wurde angekündigt, weltweit 22000 Arbeitsplätze zu streichen, die meisten davon in Deutschland! (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/lufthansa-stellenabbau-101.html)

Adidas erhielt vom Steuerzahler auf demselben Weg 2,4 Milliarden Euro, obwohl zeitgleich vor der OECD ein Verfahren anhängig ist, nachdem der Sportartikelhersteller offenbar bei seinen indonesischen Zulieferern sowohl Mindestlöhne als auch die Vereinigungsfreiheit in Form einer gewerkschaftlichen Organisation ignoriert und behindert. (https://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2020-04/49511181-beschwerdeverfahren-gegen-adidas-deutsche-kontaktstelle-der-oecd-bleibt-hinter-erwartungen-zurueck-007.htm)

Diese Liste ließe sich ohne Mühe noch viel länger gestalten. Das ernüchternde Fazit darauf ist, dass die Bundesregierung und mit ihr Union und SPD an einem Wirtschaftsmodell festhält, welches dabei ist, sich selbst zu überleben. Konzerne, die Umweltzerstörung in ihrem Betätigungsfeld mit einpreisen, Arbeitnehmerrechte boykottieren, Firmen, die Steuergelder willig in Empfang nehmen um danach zehntausende Steuerzahler vor die Türe zu setzen – und dies alles für kurzfristige Aktienkurse und Quartalsgewinnzahlen.

Währenddessen müssen sich in Zeiten der Pandemie Solo-Selbständige, Künstler, Musiker, Bars und Clubs ohne nennenswerte Beihilfen und zum Teil mit Hartz IV über Wasser halten. Das kulturelle Leben in Deutschland droht zu verkümmern. Dabei ist der Kulturbereich einer der wichtigsten Wirtschaftsbereiche in Deutschland! Mit einer Bruttowertschöpfung von über 100 Milliarden Euro im Jahr 2018 liegen die Kulturschaffenden hierzulande noch vor der chemischen Industrie, erwirtschaften mehr als alle Energieversorger zusammen und sind sogar noch erfolgreicher als der Finanzsektor! Aber leider nicht börsennotiert und daher offenbar nicht „systemrelevant“?

Der Bundesregierung sollte klar werden, dass Deutschland längst auf dem Weg von einem Industriestandort hin zur Dienstleistungsgesellschaft ist. Anstatt in Technologien von gestern zu investieren, die dazu noch umweltschädlich und zum Teil auch Arbeitnehmerfeindlich sind, sollten gerade Dienstleistungen, Kreativität und Kultur gefördert werden. Dezentral, damit diese tatsächlich blühende Landschaft nicht zur Brache verkommt. Nebenbei könnten auf diesem Weg auch die Innenstädte wieder belebt werden, denn kaum etwas anderes bringt mehr Kreativität in eine Stadt, als Kunst und Kultur.