Rede Hermann Schaus (DIE LINKE), in der Stadtverordnetenversammlung Wetzlar, am 24.11.2022, zum Antrag (DIE LINKE) Nr. 0577/22 – I/187:
Städtische Großereignisse – Konzept zur Beteiligung von Interessensgruppen
(Es gilt das gesprochene Wort)
Anrede,
am Freitag, den 11.11.2022, war die Altstadt nachmittags ab 16.00 Uhr sehr belebt, denn 50 Geschäftsinhaber*innen und eine Vielzahl von Vereinen, Bürgerinitiativen, Gewerkschaften und auch die Parteien von DIE Grünen und DIE LINKE, folgten der breitgestreuten Einladung und beteiligten sich an der Aktion von Wetzlar solidarisch.
Mit Musik, Kunst, Literatur, Informationen, Gesprächen und einem kreativen Miteinander haben sich viele an der Aktion von Wetzlar solidarisch beteiligt.
In einer Information der Initiative, unterschrieben von Joachim Schäfer von Hessencam und der Vertreterin der Flüchtlingshilfe-Mittelhessen ist folgendes zu lesen:
„Die erschreckende Zunahme von sogenannten Fake News und die zahlreichen lauten, oft unqualifizierten Demonstrationen in unsere Stadt und anderswo – schaffen ein Bild und ein Gefühl von Verunsicherung und Angst. Doch Angst lähmt Mut, bremst Initiative und überdeckt Kreativität …
Wir möchten, dass unsere Stadt als solidarische Stadt wahrgenommen wird….. – Dazu braucht es ein sicht- und erfahrbares Miteinander von Politik – Einzelhandel und Zivilgesellschaft.“
Am erfolgreichen Zustandekommen dieses wichtigen Zeichens der Solidarität und gegen Ausgrenzung, Hass und Hetze, die regelmäßig montags abends in Wetzlar zu hören ist, waren auch Mitglieder der BI Lebendige Altstadt, federführend beteiligt.
Allen Beteiligten, möchte ich für diese gelungene Veranstaltung, für dieses „Volksfest der Demokratie“ recht herzlich Danke sagen!
(Sie dürfen sich da gerne auch mit Beifall anschließen!)
Auf der Abschlusskundgebung auf dem Domplatz sagte Frau Herrnkind:
„Die Aktion Wetzlar solidarisch sei ein Zeichen, das als Brücke zwischen Politik und Bürger zu verstehen sei!“
Warum, so frage ich, kann das nicht auch bei anderen Veranstaltungen so sein, dass eine Brücke zwischen Politik und engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die sich auch in Bürgerinitiativen dafür einsetzen, Wetzlar besser zu machen, geschlagen wird?
Das nämlich ist der Kern unseres heutigen Antrages!
„Der Wetzlarer Magistrat soll beauftragt werden, ein Konzept zur Einbeziehung von daran interessierten Bürgerinitiativen, Interessensgruppen, Parteien und Gewerkschaften bei der
programmatischen Ausgestaltung von städtischen Großereignissen (wie z. B.: Ochsenfest, Brückenfest, Gallusmarkt, Apfelmarkt) auszuarbeiten und dieses den städtischen Gremien zur Beratung und Beschlussfassung vorzulegen.“
Unser Antrag zielt damit auf mehr Bürgerbeteiligung, so wie sie ja auch von den Koalitionsfraktionen vereinbart wurde und wofür ja auch eine neue Stelle im Rathaus geschaffen wurde, die mit Herrn Dr. Wehrenpfennig besetz ist.
Will man gesellschaftspolitisches und sozial-kulturelles Engagement auf breiter Front fördern, bieten Großereignisse mit hohen Besucherzahlen einen geeigneten Resonanzboden, um auf die Arbeit gesellschaftlicher Akteure aufmerksam zu machen, die für sozialen Zusammenhalt, einen sorgsamen Umgang mit Energie und natürlichen Ressourcen sowie sportliche und kulturelle Betätigung stehen.
Dass in der jüngsten Vergangenheit engagierten Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, die sich z.B. gegen Flächenversiegelung und für eine Verkehrs- und Mobilitätswende stark machen, die “kalte Schulter” gezeigt wurde, ist – angesichts der Herausforderungen, vor denen wir auf diesem Gebiet stehen – absolut unverständlich und aus der Zeit gefallen.
So durfte das Verkehrswendebündnis und die BI Lebenswerte Altstadt auf dem Brückenfest keine Infostände aufstellen, obwohl sonntags bei der Aktion „FahrRad“ über alternative Verkehrsmodelle informiert wurde.
In der WNZ vom 09.09.2022 wird der für Wirtschaftsförderung bei der Stadt Wetzlar beschäftigte Herr Dietrich, wie folgt zitiert:
„Das Brückenfest ist ein Familien, Sport und Stadtfest und nicht Teil einer politischen Aktion.“
Bei dieser Aussage frage ich Sie alle: Wo beginnt denn eine politische Aktion?
Und vor allem: Wer entscheidet denn darüber, was politisch ist und was nicht?
Wenn ich z.B. dieser Tage nach Katar, zur Fußballweltmeisterschaft blicke, dann finde ich diese Sportveranstaltung ist sehr politisch.
Mir ist nicht klar, wer nun, in welcher Haupt- oder ehrenamtlicher Funktion für die Absagen, an die kritischen, aber stets solidarischen Bürgerinitiativen, verantwortlich ist?
Wer auch immer! Diese unnötige Ausgrenzung beim Brückenfest ist schon angesichts der Klimakatastrophe, die auf uns zukommt, nicht nachvollziehbar!
Herr Dietrich hat übrigens dankenswerterweise entschieden, dass die Gewerkschaft ver.di, kurzfristig beim Brückenfest einen bei der Stadt zuvor beantragten Info-Stand durchführen darf, um dort über ihre ablehnende Position zu verkaufsoffenen Sonntagen zu informieren.
Das fand ich ausgesprochen gut, und möchte mich auch im Namen des ver.di-Ortsvereins Wetzlar ganz herzlich für diese unbürokratische Vorgehensweise bei den Mitarbeiter*innen des Ordnungsamtes und ganz besonders bei Herren Dietrich, recht herzlich bedanken.
Deshalb wünsche ich mir zukünftig eine Gleichbehandlung von interessierten Initiativen bei solchen großen Veranstaltungen.
Das Brückenfest stellt im Hinblick auf Ausgrenzung aber leider keine Ausnahme dar, denn schon zuvor auf dem Ochsenfest hatten wir eine vergleichbare Situation.
Dies hatte mich schon vor dem Brückenfest, auf der Stadtverordnetenversammlung am 19. Juli 2022, zu folgender Frage veranlasst:
„Billigt der Magistrat, dass der Leiter der Stabsstelle Wirtschaftsförderung der Stadt Wetzlar bei Eröffnung des Ochsenfestes am Stand des Kreisbauernverbandes in Halle 1 – wie berichtet wird – „Zensur“ ausübte, indem er gegenüber dem Kreisbauernverband als Standbetreiber sowie den von diesem zur Eigenpräsentation mit eingeladenen Bürgerinitiativen aus Dalheim und Münchholzhausen auf die Entfernung sämtlicher kritischer Plakate zur Bodenversiegelungspolitik bestand?“
Im Protokoll ist die Antwort von Herrn Dr. Viertelhausen wie folgt festgehalten:
„Bgm. Dr. V i e r t e l h a u s e n monierte die Skandalisierung von Vorgängen, die einem per „Hören und Sagen“ zugetragen werden. Er berichtete über bestehende Regelungen zu den Werberechten auf dem Ochsenfest, die für alle Standbetreiber gelten. Das Ochsenfest sei ferner keine politische Veranstaltung. Er wies die in der Fragestellung erhobenen Vorwürfe zurück und teilte mit, dass kein Mitarbeiter der Stadt in dienstlicher Funktion dort wie unterstellt Zensur betrieben habe.“
Wenn ich jetzt spitzfindig wäre, dann könnte ich dieser Aussage entnehmen, dass jedoch städtische Mitarbeiter in privater Funktion dort tätig wurden.
Und genau da sind wir beim Kernproblem:
Wir haben es in beiden Fällen mit der Überschneidung von städtischen und privaten Verantwortlichkeiten zu tun.
Wenn z.B. Herr Dr. Viertelhausen (FW) in seiner Funktion als Bürgermeister, dem Vorstand des Landwirtschaftlichen Vereins Lahn-Dill angehört, dann tritt er dort stets als Vertreter des Magistrats auf. Gleiches gilt natürlich auch für Herrn Kortlücke (DIE GRÜNEN) bei der Durchführung des Brückenfest.
Deshalb bitte ich Sie alle: Stehen Sie als Magistratsmitglieder, wie auch als Stadtverordnete, zu ihrer Verantwortung und unterlassen Sie zukünftig den beliebten argumentativen Verschiebebahnhof der angeblich eigenen Unzuständigkeit!
Wir sind alle dafür verantwortlich, wie in Wetzlar Bürgerbeteiligung aussieht und wer sich wie und wann daran beteiligen kann!
Ja, Sie können unseren Antrag heute mit Mehrheit wegstimmen, aber das Thema bleibt!
Ich bleibe dabei: Lieber gemeinsam, für eine liebenswerte Stadt!
Verweise: